Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.

Share on Social Media

Für ein Lächeln der Mönche …   The Mantra of the Healing BuddhaThe Mantra of the Healing Buddha

 

Als Zahnärztin in Indien      

 

Von Dr. Ingrid Kammerer

 

Wer an Indien denkt, sieht Armut, Spiritualität, Menschenmassen, eindrucksvolle Tempel, mangelnde Hygiene, Räucherstäbchen und heilige Kühe. Auch ich dachte so. Doch Indien ist viel mehr: edle Gesichter, unendliche Lebensfreude, 44 gezogene Zähne pro Tag und ein echtes, tiefempfundenes Glück ...

 

Für drei Wochen war ich Zahnarzt in Indien. Unser KHCP Zahnarzt-Camp leitete Dr. Daniel Hess; zwei österreichische Zahnärztinnen, eine angehende deutsche Chirurgin und drei steirische Helferinnen waren mit im Team; ein Mann mit sieben Frauen – offenbar das richtige Verhältnis. Begleitet wurden wir noch von Dr. Sonam und seinem Mitarbeiter, beide Nepalesen, die nicht nur – ebenso wie wir – Krankheiten behandelten, sondern auch Hygieneunterricht gaben. Zwei Behandlungseinheiten im Koffer (die notfalls bei Stromausfall an eine Autobatterie angeschlossen werden können), zahnärztliches Equipment und eine Mischung aus Altruismus, Abenteuerlust und Humor waren ebenfalls in unserem Reisegepäck. Die geplante 22-tägige Route führte uns von Delhi in den Norden an die Grenze Nepals und anschließend nach Bodhgaya, einer der wichtigsten Pilgerstätte der Buddhisten. Von Delhi flogen wir dann am 22.12. wieder zurück ins weihnachtliche Österreich, gerade noch rechtzeitig, um die Kerzen des Christbaums zu entzünden …

 

Das Abenteuer beginnt

Im KIBI (Karmapa International Buddhistic Institute), einer Universität für das Buddhismusstudium, empfing uns gleich am ersten Tag seine Heiligkeit, der 17. Karmapa Trinley Dorje, mit einer Zeremonie, die ungefähr einer Privataudienz bei unserem Papst entspricht. Jeder von uns hat seiner Heiligkeit einen weißen Khata (das ist ein traditioneller Begrüßungsschal als ein Symbol für Glück, Wohlwollen und Mitgefühl) überreicht und als eine Geste der Nichtanhaftung hat er ihn uns wieder „zurückgeschenkt“. Er segnete uns und ein rotes Stoffarmband mit einem Buddhaknoten sollte uns beschützen. Na dann: Goldarmband herunter, Stoffarmband hinauf – nun konnte nichts mehr schief gehen. Um einen reibungslosen Aufbau unserer „Zahnklinik“ zu trainieren, praktizierten wir eine Trockenübung mit unserem Equipment im Keller. Ich staunte nicht schlecht über unsere Behandlungsstühle, denn ein Notenständer mit einer aufgesetzten Autonackenstütze fixiert an einem Plastiksessel ersetzte meine gewohnten elektronisch gesteuerten Behandlungsstühle in meiner Praxis. Die Beleuchtung war eine Fahrradstirnlampe und ich fühlte mich in diesem Moment eher wie ein Untertagarbeiter als ein Zahnarzt. Nach der Vorstellungsrunde auf der Stiege vor der Gompa (der Gebetshalle jedes buddhistischen Tempels) und der Nachricht, dass Daniel seine Rosemarie in Bodhgaya buddhistisch heiraten möchte, stellten wir erleichtert fest, dass wir uns sehr gut verstehen; hätte ja auch anders sein können, aber die Buddhas arbeiten ja immer im Hintergrund …

 

Das Kloster in Kalimpong

Am nächsten Tag ging es mit dem Flugzeug und dann mit Jeeps nach Kalimpong, einem Kloster, das 1500 m hoch in Nordbengalen liegt und von rund 90 Mönchen aus Nepal, Bhutan und Indien bewohnt wird. Dawa, der Vorsteher dieses Klosters, führte uns durch die ganze Anlage und erklärte uns den „Mönchsalltag“, der traditionell mit einer Puja am Morgen um 5.00 oder 6.00 beginnt. Eine Puja ist eine „Verehrung“ oder „Ehrerweisung“. Sie gehört als Ritual zu den wichtigsten Bestandteilen des buddhistischen Alltags, ist ungefähr das, was für Christen die Andacht ist und wird im Kloster täglich praktiziert. Ihr einstündiger Ablauf setzt sich aus Rezitationen großer Reden, Zufluchtnahme zu den drei Juwelen des Buddhismus (Buddha, Lehre und Glaubensgemeinschaft), Gelöbnissen und Musikuntermalung zusammen. Die Puja sowie der ganze Klosteralltag wird in jedem Kloster von einem „Disciplin-Master überwacht. Auch ich als Nichtbuddhistin durfte daran teilnehmen und war beeindruckt, wie so oft auf dieser Reise: von den edlen Gesichtern der Mönche, denn spirituelle Arbeit adelt ein Antlitz, vom Duft der Räucherstäbchen, den fremdartigen Tönen aus Muscheln und speziellen Blasinstrumenten, und dem Anblick des friedvollen Buddhas.

Und dann arbeiteten wir. Wir waren nie alleine mit unseren Patienten, sondern viele Mönche verfolgten neugierig vor den ausgehängten Fenstern unserer „Zahnklinik“ unsere Behandlungen und abwechselnd staunten, lachten und motivierten sie die Patienten, die gerade am Behandlungsstuhl saßen. Das war großes Kino.

 

Da wir leider noch nicht so ganz in die Bedürfnislosigkeit des Buddhismus eingetaucht waren, hatten wir nach drei Tagen Arbeit einen Wunsch – shoppen. Neben den üblichen Mitbringsel wie Schals, Shirts usw. wollte ich mir eine Buddhastatue kaufen. Tsirog, ein Lama des Klosters, wollte mich beraten. Doch wann immer ich in einem der Geschäfte von einer Statue begeistert war,  ein Kopfschütteln von Tsirog. Einmal war es die Nase, dann die Lippen, dann die Körperhaltung, die nicht passte. Nach vier Stunden hatte ich mit Buddha und der Welt abgeschlossen. Dann eben keine Statue. Ein letzter Anlauf noch, ein letzter Buddha. Erschöpft hielt ich ihn in meinen Händen – und dann begann ich zu verstehen: Tsirog war zufrieden. Man muss in Buddha versinken können. Endlich, und ich versank …

 

Thakdah, ein Ausblick zum „Dach der Welt“

Nach einer abenteuerlichen Jeepfahrt ging es weiter in ein Novizenkloster in den Norden nach Thakdah, einem Ort, der in 2000 m Höhe direkt im Darjeeling-Teegebiet liegt. Hier wohnten wir nicht im Kloster, sondern in einem Gästehaus, das der Besitzer der „Teekanne“ für seine deutschen Mitarbeiter bauen ließ, als er sich zum biologischen Teeanbau in diesem Gebiet entschloss. Am nächsten Morgen standen wir um 5.00 Uhr auf, um den Sonnenaufgang am Himalaja zu erleben – wen das nicht beeindruckt. Mitten in den Teeplantagen, mit einem Frühstück serviert auf einer Panoramaterrasse lässt sich der Tag angenehm beginnen – tja, es ist mir schon einmal schlechter gegangen. Wir fuhren zum Kloster und – unglaublich: Die Mönche hatten uns ein weißes Zelt im Garten vor dem Kloster aufgebaut, unsere „Zahnpraxis“. Hier war die Arbeit noch viel spannender, weniger für uns, als für unser Publikum, denn die Novizen verloren ziemlich rasch die Scheu vor uns und hatten einen ungeheuren Spaß, Zahnextraktionen hautnah mitzuerleben. Und es gab deren viele, denn an einem Tag stellte ich meinen persönlichen Rekord mit 44 Zähnen auf. Meine Kollegen wurden an diesem Tag nicht so belagert – floss doch viel zu wenig Blut bei ihren Füllungsbehandlungen. Die Tapferkeit und die Gelassenheit dieser jungen Mönche haben mir imponiert; manchmal mit Tränen in den Augen, aber ohne Widerstand und Gejammer ließen sie sich von uns behandeln; nicht wie so oft in unseren Praxen … Zum Abschied gab es uns zu Ehren eine entzückende Tea-Party mit Gesangseinlagen einiger Mönche, mit viel Begeisterung und Heiterkeit vorgetragen. Daniel hat nicht nur uns verblüfft, denn er bedankte sich mit einem traditionellen „Schuhplattler“.

 

Bodhgaya, der „Ort der Erleuchtung Buddhas“

Nach den abgeschiedenen und ruhigen Klöstern präsentierte sich in Bodhgaya das Indien, wie ich es mir vorgestellt hatte. Die Straßen waren voller farbenfroh gekleideter Pilger, die zum Mönlamfest kamen; Rikschas wichen Kühen, Ziegen, Hunden aus. Links und rechts der Straßen riesige Schmutzhalden. Lärm und fremdartige Gerüche aus den Straßenküchen vervollständigten das bunte Treiben. Viele Menschen tragen Schutzmasken, denn die Luftverschmutzung ist gigantisch. Das tibetische Mönlamfest (die Feier des großen Gebetes der Tibeter für gute Wünsche in die Welt) ist das bedeutendste religiöse Fest des Jahres. Es ist immer im Dezember und neben den Pilgern treffen sich hier spirituelle Meister und Lamas, angeführt von seiner Heiligkeit, dem Karmapa. Die Festivitäten stiegen im tibetischen Tempel und auf dem Areal des Mahabodhi-Tempels, an dessen Westseite der heilige Mahabodhi wächst, die Pappelfeige, unter der Siddharta Gautama Bodhi (Erleuchtung) erlangte.

Unser Zahncamp war etwas außerhalb des Pilgerzentrums, ein internationales Ärzteteam arbeitete unter einem Zelt neben dem Bodhibaum. Die Arbeit hier war anstrengend; es streikten abwechselnd Patienten und unsere Behandlungsgeräte, Strom- und Wasserausfall machten zwischendurch Behandlungen unmöglich. Und Indien ist in jeder Hinsicht belebt. Als meine Helferin während einer sehr schwierigen Zahnextraktion den Kopf eines Patienten hielt, wechselte sie ein wenig die Gesichtsfarbe und hauchte mir entsetzt zu: „Er hat Flöhe!“ Auch die Gerüche, der Anblick der Toiletten, Abfalleimer und der Zahnstatus einiger unserer Pilger hatten sie anscheinend so sehr beeindruckt, dass langsam die Füße nachgaben …

Neben uns arbeitete ein weiteres Ärzteteam unter der Leitung von Anna Bach, einer Amchi (tib,) einer traditionell tibetischen Medizinerin. Antlitzdiagnostik und Pulsschlagüberprüfung machten sie unabhängig von Strom, Wasser und all der Technik, ohne die wir nicht arbeiten können; der Wunsch war geboren, diesen Zweig der Medizin zu erlernen.

 

 

Als Ausklang unseres Aufenthalts spendeten wir dem Karmapa ein Mandala. Sandmandalas werden in stunden-, ja sogar in wochenlanger Arbeit gefertigt und anschließend verwischt als ein Symbol der Vergänglichkeit der materiellen Welt. Denn für Buddhisten ist das Anhaften an Materie und Mensch eines der Ursachen unseres Leids.

Das erklärte Ziel ist das Nicht-Anhaften. Ob mir das einmal gelingen wird? Einen starken Impuls in diese Richtung hat jeder von uns in Indien bekommen. Verbunden mit dem ältesten und populärsten tibetischen Mantra, das mir noch immer im Ohr klingt, empfand ich nach all den Erlebnissen das, was für Buddhisten das Wichtigste im Leben ist, nämlich Glück.

               Om mani padme hum („Oh du Juwel in der Lotusblüte“)